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Jedes Gedicht ist lesbar (rezipierbar)

Einladung zur Diskussion
Posted on 6. April 2013 by Jan Kuhlbrodt
auf verschiedenen Wegen erreichten mich Statements zu meinen Thesen zum Verständnis der Lyrik. Indem ich ein kurzes Gespräch, das ich mit Anke G. auf Facebook geführt habe, an dieser Stelle dokumentiere, möchte ich die Debatte gerne öffnen, und zu Kommentaren einladen.
hier das Gespräch:
hallo jan, wir kennen uns nicht persönlich, ich glaube, in der ein oder anderen anthologie waren wir zusammen, bin mir aber nicht sicher. ich habe gerade ein bisschen in deinem blog gestöbert. gefällt mir. danke für deinen aktuellen eintrag zum verständnis von gedichten. komisch, dass wir lyriker das den anderen immer erklären müssen, das mit unseren gedichten. warum lesen sie nicht selbst? warum suchen sie immer uns, statt sich? viele grüße aus köln, anke

ich denke, wür mussen uns zuweilen auch uns selbst erklären. es gibt ja auch eine gruppe von lyrikern, die die texte der kollegen als unverständlich und akademisch bezeichnen.
ach: und ich bin verfechter der aufklärung, und dazu gehört es, dass man sich erklärt, also auch über sich aufklärt

ich glaube, ich sehe das gar nicht so anders. ein gedicht ist mehr als eine willkürliche aneinanderreihung von wörtern. daher: die erklärung wohnt der entstehung des gedichts inne.
doch sträube ich mich, zuerst die erklärung abzugeben, bevor sich jemand auf den text eingelassen hat. mmmhh.. das klingt pädagogisch, so meine ich es nicht. aber ich finde, texte wirken im betrachter. ich habe es mir immer als dreieck vorgestellt: der text, der leser, der autor. von allen dreien (vielleicht noch mehr) wirken die bedeutungszusammenhänge. nur eine dimension greift zu kurz.
wenn also jemand fragt: “was meinte der autor”, offenbart der versuch einer antwort immer nur eine der dimensionen.
nehme ich der vielfalt eines gedichtes, der vielfalt der sprache nicht ihre möglichkeit, wenn ich mich gleich auf eine deutungsdiskussion einlasse?
ich will gar nicht in den elfenbeinturm

zumal ja der dichter meinen kann, was er will. im gedicht steht was da steht
darf ich unser kurzes gespräch auf mein blog stellen?
wir könnten es dort öffnen.

ja, du kannst das gerne auf deinen blog stellen und öffnen. mich treibt das um. bin sehr neugierig auf eine
diskussion

super




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? zum Verständnis von Gedichten
Zehn Thesen über Dichter ?
30 Antworten zu Einladung zur Diskussion
Dietmar E. schreibt:
6. April 2013 um 13:37

„ich will gar nicht in den elfenbeinturm“

wenn aber die bindungskraft zwischen text und autor so stark ist, so hermetisch, dass sich der leser erst gar nicht (zum dreieck bilden) hinzugesellen kann?

ich meine das erstmal nur ausgehend von der kenntnis eueres kurzen dialoges auf dieser seite, ganz sicher nicht bezogen auf euer schreiben, das ich ja allenthalben in auszügen kenne und ich meine es ausgehend von manchen eigenen erfahrungen „verrätselnden“ schreibens …
Antwort

Jan Kuhlbrodt schreibt:
6. April 2013 um 13:48

ich meine zu erkennen, wann ein autor versucht, einen text zu verrätseln, also versucht, eine aussage, die offen zu tage liegt, zu verbergen. solche texte langweilen mich sehr. dabei handelt es sich nämlich um texte, deren wahrheit sich darin erschöpft, in einen einfachen aussagesatz umwandelbar zu sein. das sind gedichte, die sich lyrik anziehen. viel interessanter sind texte, die sich in interpretation nicht erschöpfen, die eine reflexion eröffnen. aber auch ich kenne ausnahmen.
Antwort

Hanna Scotti schreibt:
6. April 2013 um 15:34

Hallo Jan, wir kennen uns nicht, aber mit Interesse habe ich dein “statement” zum Verständnis von Gedichten gelesen. Mir fiel sofort eine Antwort in einem Interview von Frau Mayröcker ein : Sie habe von ihrer Schreiberei nie leben können, weil ihre “Sprache” zu schwierig und unverständlich sei.
Erst mit der Veröffentlichung meines ersten Gedichtbandes ist mir bewußt geworden, wie hermetisch viele meiner Texte sind. Ich glaubte in den vielen Jahren, in denen ich schreibe, meine Metaphern und Assoziationen seien glasklar für jedermann/frau.
Das Argument von Dietmar E. impliziert für mich eine symbiotische Beziehung zwischen
Autor und Text. Ich glaube auch, dass der Leser das spürt und mit einem diffusen Gefühl von , Ausgeschlossenheit reagiert. Es scheint noch etwas dazwischen zu geben. Ich kann mich dazu nur persönlich äußern : Ich traue meinem Leser zu, Lust zu haben, mir zu folgen, neugierig zu sein, nachzufragen, nachdem er/sie sich mit meinem Text beschäftigt und eigene Ideen entwickelt hat.
Dass das heute selten geschieht ist wohl ein morscher Zahn in unserer Zivilisationsprothese.
Da ich selbst schon fast 70 bin, ziehe ich mir langsam und nicht ohne Qualen den letzten Weisheitszahn und entscheide mich bei jedem Text neu, ob ich ihn mit “Esszimmer” oder ohne veröffentlichen will.
Ich habe es jedoch leicht, ich muß davon nicht leben und doch meldet sich das Narzissmusteufelchen auch im Greisenmäulchen und will unbedingt gesehen werden.
So kann ich nur meine persönliche Lösung anbieten : try and error, immer auf die Schnauze fallen beim Leser/in, sich einen Wolf laufen um die Gunst der, übrigens nach meinem Empfinden auch hermetischen Lyrikwelten, und….offen bleiben…..offen bleiben…
Ach schitt, soll doch mäkeln wer will, ich glaube an meine Texte, immer öfter und deine Bemerkung
hat mir nicht nur einen Tag gerettet. Du bist auf ewig bei mir eingebrannt (grins)
Sollte ich geschwafelt haben, bitte ich um Nachricht, nicht um Nachsicht.
Ich werde gerne an euch dranbleiben.
Hanna Scotti
Anke G. schreibt:
6. April 2013 um 21:08

hallo dietmar, ich möchte deine frage gerne erweitern. ist ein charakteristikum für den künstlerischen umgang mit dem wort nicht, das es über den autor, über den text, ja vielleicht sogar über die zeit hinausweist?
und – ich stimme hanna zu – muss ich dafür den text nicht frei lassen? (und die frage, wie er rezipiert wird, darf für den autor keine sein). aber: ein hermetischer text ist kein freier. anders formuliert: schließt ein gedicht (per definitionem) eine hermetische symbiose zwischen autor und text nicht geradezu aus?
Antwort
Jan Kuhlbrodt schreibt:
6. April 2013 um 16:33

Liebe Hanna Scotti, ich sehe unsere Positionen gar nicht soweit voneinander entfernt. Ich halte jeden Text für verständlich, das heißt rezipierbar. Wenn er verstiegen ist, und ich will ihn verstehen, muss ich mich halt auch versteigen. Das heißt aber eben auch, jeder Text hat eigene Bedingungen der Rezepzion. Ich werde nicht alle Texte, die es gibt verstehen, weil mir dazu die Zeit fehlt (und zu manchem sicher auch der Willen). Aber ich könnte …
Antwort
Hanna Scotti schreibt:
6. April 2013 um 17:46

Danke für die Antwort. Hab’ noch mal nachgedacht :
Beim Schreiben gehe ich eine natürliche Symbiose ein mit meiner Idee : sie wird erdacht, konkret umgesetzt, geprüft, zermalen, verdaut…… und was hinten rauskommt, sollte tunlichst losgelassen werden. Im Sinne Rilkes oder Celans liebe ich, was ich da tue,doch es tut gut, es sich frei entfalten zu lassen, ob es nun in die Gosse fließt oder in den Himmel gehoben wird. Das Gedicht aus Silben, Lauten, Worten und deren nicht zufälliges Arrangement sind das einzig Konkrete. Nachdem der Entschluß gereift ist, es frei zu lassen, ist es auf sich selbst gestellt, egal wo es landet.
Wenn ich Raoul Schrott richtig verstanden habe, ist deine Anmerkung genau das, worum es geht : immer und immer wieder um die Freiheit des Textes.
Er gehört mir nicht mehr und es ist im besten Sinne gleich – gültig, was damit geschieht.
So sind wir ganz offensichtlich der gleichen Meinung : Jeder Text ist rezipierbar. Punkt.
Und jede/jeder kann sich dazu gesellen: Lustige, Kluge, Arme, Reiche, auch Grantler sind willkommen. Vielleicht tut es dem Leser gut, wenn er sich ausgeschlossen fühlt, zu prüfen, ob er wirklich ausgeschlossen wird?

Damit haben wir zwei leider keine Grundlage mehr, um zu diesem Thema weiter zu diskutieren, schade. Aber so können wir beide uns nur gegenseitig beweihräuchern und das ist langweilig. Aber vielleicht gibt es ja noch zukünftige brisante Einstellungen zu deiner “Öffnung”.
Schönen Abend noch.


Antwort
Jan Kuhlbrodt schreibt:
6. April 2013 um 17:59

danke für den beitrag. eines aber scheint mir noch wichtig herauszuheben: es gibt keine position zum text, aus der eine deutungshoheit abzuleiten wäre. also: auch der autor tritt dem veröffentlichten text als rezipient gegenüber. seine interpretation des werkes ist gleichwertig im ensemble der (möglichen) interpretationen. vielleicht müssen wir ein wenig provokanter formulieren um unsere positionen am widerspruch überprüfen zu können. (manchmal denk ich bei kollegen sogar, sie wissen ganz und gar nicht, was sie da treiben und haben keinerlei verständnis für ihr werk.)
schönen abend auch

Antwort
Hanna Scotti schreibt:
7. April 2013 um 08:57

Guten Morgen Anke,

der biologische Vorgang des Werdens war und ist immer zunächst symbiotisch und gesund. Es erscheint mir eine entscheidende “Aufgabe” der lebenden Wesen zu sein, diese Symbiose zu leben, zu erkennen und letztlich zu überwinden, statt sie zu vermeiden, was per definitionem auch nicht wirklich geht. Nur mit der Freilassung des “Geliebten” entsteht meines Erachtens etwas Lebendiges.
Was hat das mit Dichtung zu tun?
Verse schmieden ist für mich wie Lust am Feuer, der Duft von rinnendem Schweiß, die Schönheit
eines formenden Menschen, das Singen des Blasebalgs und das schmerzliche Zischen des kalten Wassers, das Aufgehen und Eingehen in dem,, was zu tun ist.
Meine Version von einer Anregung Rilkes :
Die Welt sollte hörend wahrgenommen und bedichtet werden
Die Antwort auf das Warum findet man heute in jeder einschlägigen Literatur über moderne Hirnforschung)
Ich weiß, ich weiß, das ist nicht populär. Aber solange wir nicht mit allen Sinnen mit unserem Werk verschmolzen sind und es damit als vollendet ziehen lassen können, sind unsere Texte nur “halber Kram”. Wir möchten gerne ein Rilke, ein Celan, eine Hilde Domin,what ever, sein, aber den Mut, sich ganz einzulassen und sich dann davon zu verabschieden haben wir nicht.
Wir heutigen Lyriker nehmen Informationen sehend auf, dass kann meines Erachtens nur eine Kopfgeburt werden. “Alles meins, meins, mein Baby, meine Urheberrechte, mein Buch, mein Leser”, schreit es aus allen Ecken.
Unsere Gedichte gehören uns nicht, wir haben einen Rohstoff geschenkt bekommen, den wir mit Geschick bearbeiten dürfen, etwas mehr Bescheidenheit wäre meines Erachtens sehr nötig.
Nur dann kann sich “postkultur” kreativ entwickeln.
Wir modernen Lyriker sind zu häufig Besserwisser statt Frager und Stauner.
Schönen Sonntag.




Antwort
M. schreibt:
7. April 2013 um 12:08

Schön, wenn man in die Provinz zurückkehrt und dank Internet und Blogs so eine Diskussion vorfindet.
Hanna schreibt: “aber den Mut, sich ganz einzulassen und sich dann davon zu verabschieden haben wir nicht.” Für mich ist dieser Satz, der entscheidende Satz. Und zwar sowohl für das Lesen, als auch für das Schreiben von Gedichten, also für das Verständnis von Poesie überhaupt. Natürlich gehe ich dabei in erster Linie von mir aus, wovon auch sonst. Ich will (fast) überall mitreden, mitbekommen, worum es geht und wie anders soll das gehen, als indem man sich oberflächlich nähert, indem ich Dinge vorschnell in Schubladen ablege und weiterhaste. Weil ich doch den Anschluss (den ich ohnehin nie erreiche) verpasse, wenn ich mich wirklich einlasse. Bis mir dann ein Gedicht von István Kemény begegnet, bzw. ein Gedicht das mich trifft, das mir vorkommt, als würde es umstandslos in mich eindringen, ohne dass ich es verstehe, aber indem ich spüre, das da etwas vorgeht, was mit mir zu tun hat, was mich ändern kann, indem ich mich einlasse, und sei es nur die Tatsache, dass es mich stillstehen lässt, dass es mich dazu bringt, stehen zu bleiben und den Mut zu finden, mich einzulassen, von dieser Position aus, ein gutes Stück Demut mitzunehmen und alles aus einer leicht veränderten Perspektive zu sehen.




Antwort
M. schreibt:
7. April 2013 um 16:52

für mich ist die frage, wann die frage auftaucht, die frage nach dem, was ist denn damit überhaupt gemeint. ist sie ein gesprächsangebot, eine möglichkeit über gedichte (über dieses gedicht) zu reden? oder ist es eine haltung, die verlangt, dass mir der verfasser erklärt, was das alles soll? denn genau das möchte ich nicht. Und ich denke du siehst das ähnlich, wenn du schreibst, du lässt das gedicht frei, was ja bedeutet es gibt keine deutungshoheit über ein gedicht. das gedicht darf alles, auch “mißverstanden ” werden, nur am autor hängen, als wäre er derjenige, der das letzte wort über seine auslegung sprechen darf, darf es nicht.
und ich bin dir und überhaupt dieser diskussion hier sehr dankbar, dass sie mir ermöglichen solche thesen aufzustellen. für mich erfordert es nach wie vor mut, mir eine eigene meinung zu erlauben, mir mein recht auf irrtum und mißverständnis zuzugestehen.
Antwort

M. schreibt:
10. April 2013 um 13:40

ich hatte versucht die frage an den dichter zu relativieren. meiner meinung nach kann sie ein gesprächsangebot sein, aber auch ein totschlagsargument, sie kann interesse bedeuten oder genau das gegenteil. das habe ich mit dem zeitpunkt gemeint. und ebenso die haltung; ich mag das gedicht zwar geschrieben haben, aber ich fühle mich nicht dafür verantwortlich, dass jeder dasselbe darunter versteht, ich finde es sogar eher mißlungen, wenn jeder dasselbe darunter versteht. austausch ja, letztendliche erklärende interpretation: nein. so sehe ich das.
im grunde das, was du schreibst, wenn du schreibst, die sprache weiß mehr als derjenige, der sie niederschreibt.
in diesem zusammenhang auch mein recht auf irrtum und mißverständnis (was es streng genommen so nicht gibt), ich darf das gedicht auf meine weise deuten, auch wenn ich die einzige sein sollte, die es so versteht.
danke für die nachfrage und das verstehen wollen.
viele grüße m.


Jan Kuhlbrodt schreibt:
7. April 2013 um 14:11

ein hinweis, ihr könnt ihn getrost als Werbung verstehen, ich bekenne mich zu meiner missionsrischen Ader: in der aktuellen Ausgabe der Literaturzeitschrift edit (www.editonline.de) findet sich ein gedicht von Ben Lerner und eine Übersetzung des Textes von Steffen Popp (Didactic Elegie/ Didaktische Elegie)
darin die Verse:



Die Himmel sind anachronistisch. Ähnlich hinkt das Lyrische
der Subjektivität hinterher, die es fassen möchte. Diese Unverbundenheit zu fassen,
ist Aufgabe der negativen Lyrik,
die es nicht gibt,

Falls und wenn es die negative Lyrik gibt, wird sie sich wiederholen.
Sie wird dazu da sein, im Voraus zusammenbrechen, ein Bild erzeugen,
das die Unmöglichkeit von Übertragung überträgt. …

Das ist nur ein kleiner Ausschnitt, dieses programmatischen poetologischen Textes. der ein Gedicht ist.

Antwort
Hanna Scotti schreibt:
7. April 2013 um 15:38

Die dazugehörige Radiosendung habe ich gehört. Ich gestehe :
Nichts habe ich vom Verstand her verstanden in dem Ausschnitt der dort zu hören war und doch….ein absurder,surrealistischer Klang hat mich erfaßt und sprengte alle Ketten.
Das faszinierende daran ist : das ist nicht neu!
Ich zitiere Ryokan :
Wer sagt, meine Gedichte seien Gedichte?/ mein Gedicht ist nichts Erdichtetes. Wenn du wirklich verstehst, das meine Gedichte keine Gedichte sind,/ dann können wir/ gemeinsam/ die wunschlose Freude/ am Leben und an der Natur teilen.

Jahre und Jahrzehnte habe ich gebraucht um zu verstehen und zu erfühlen, was die “Freiheit” eines Textes ausmacht. Das ist ein Ringen ohne Ende und doch voller Freude.
Irgendwo habe ich gelesen, dass ein zeitgenössischer, lebender Autor, ich gaube Paul Irgendwas (Jan, du wirst es wissen) seit Neuestem Sonette schreibt. Dort ist für mich das höchste Verständnis vom Leben und vom Schreiben : Der Zeitpunkt, der Ort, das Blatt, der Stift, der Autor,die Buchstaben und Verse sind die Form. Die Freiheit der Poesie entfaltet sich in den Pausen dazwischen. Es zu entdecken und mit anderen zu teilen. (siehe : minimalistische Musik) ist höchster Genuß.
Das ist mehr als das Dreieck “Dichter – Text – Leser”, es ist eine Vereinigung in Freiheit, reine Poesie.
Das Thema hat mich wirklich gepackt und ich wünsche euch jungen Leuten, dass ihr sie findet: die Poesie nach der Kultur, lieber Jan.
Da ist mein Wort zum Sonntag, Ohgoddegoddegott (das ist auch alles schlüssig ohne einen solchen)
Ich hoffe Ihr verzeiht mir die Schwatzhaftigkeit einer alten Frau. Ich habe so wenig Gelegenheit dazu. Aber auch das gilt es loszulassen (kicher)
Hanna Scotti
Antwort
Anke G. schreibt:
7. April 2013 um 16:16

ja, das höchste wäre es, mit dem loch im gedicht den kern zu treffen. manchmal, wenige male fast nah dran, dann doch wieder viel zu viel mit begriffen verhüllt.
und natürlich (ich bin noch nicht so frei): wie beglückend die erfahrung, dass jemand im lesen zwischen den zeilen weiterschreibt.

braucht es die form? oder hat nicht die (postkulturelle) wirklichkeit das sonett längst hinter sich gelassen hat.

Jan Kuhlbrodt schreibt:
7. April 2013 um 16:52

ich denke, da alles form ist, sich die frage, ob es die form braucht, im allgemeinen gar nicht stellt. weil eben form ist. ohnehin. jeder inhalt ist geformt und jede form hat ihren eigenen inhalt, ist ihr inhalt.
etwas anderes ist die frage nach dem sonett. manchmal habe ich das gefühl, die sonette um mich herum nehmen überhand, beginnen, mich zu nerven. (ein ähnliches gefühl muss vor zweihundert jahren auch voß gehabt haben, als er die Klingsonate schrieb) enem studenten hatte ich sogar verboten, mir noch einmal sonette vorzulegen. was natürlich dazu führte, dass sein sonetteneifer sich noch steigerte. aber: ich denke, das sonett als äußere und willkürliche hülle fällt mir nur auf, wenn der inhalt hinter dem zurückbleibt, was die form schon ist. wenn sie also (form und inhalt) getrennte wege gehen, ein autor versucht, seinem gedanken eine sonettform aufzuzwingen, überzuhelfen, wie man will. beiden also zwang antut (dem inhalt und der form) vielleicht verlangt das sonett, dass man sonettisch denkt. bei gelungenen texten stellt sich mir nämlich die frage überhaupt nicht, ob soetwas (noch) geht.

Antwort


Hanna Scotti schreibt:
8. April 2013 um 10:54

Vielleicht ist es eine Entgrenzung an dem Gedicht von B. Lerner/St.Popp die mich in eine Art leeren Raum,geführt hat. Beim lauten Hören schaltete sich mein Verstand aus und ich begann zu schwimmen. Das Rezitieren wurde zum Geplapper.
Ich hörte die Stimme eines jungen Mannes, die kleinsten Fehler und Stolperer, jede Unsicherheit im Vortrag, es war ein Lied ohne Inhalt.
Damit stelle ich für mich fest, dass das Hören eines Textes zu einer zunehmenden Notwendigkeit
wird. Eine nächste Ebene, es potenziert sich der Rahmen. Und da haben wir ihn wieder, den Rahmen, Jan, das Sonett war für mich nur ein Beispiel, ob ich es mag oder nicht, ist egal.
Dieser Text von Lerner wird tatsächlich für mich immer interessanter, auf den verschiedensten Ebenen. Ist es das, was du wolltest ? Das Gedicht wirkt ungeheuer provokant, das “Letzte” fordernd, was immer das sei.
Auf keinen Fall ist es für mich elegisch.
Fühle mich in Widersprüche “gewickelt”, nicht verwickelt.
Bis dann
Hanna

Antwort
Hanna Scotti schreibt:
9. April 2013 um 10:06

Sie ist nicht gerade hilfreich, diese Neigung, ein Thema im Netz einfach hängen zu lassen. Das kurbelt die schizoide Künstlerseele an. (Anmerkung der Verfasserin : das ist jetzt Ironie!!)
So beende ich meinen Part in diesem Stückchen mit einem Fazit :
1. Die Thesen zur Lyrik finden meine volle Zustimmung. Wer sich für Philosophie, Literatur,
Maurerarbeiten oder einen Toaster interessiert, wird sich auf seine Weise damit beschäftigen.
Ich stecke also meine Ideen in die Schlitze ( wer vermögend ist, hat vier, wir anderen zwei)
drücke den Schalter und nach einer Weile kommt ein heißes Ergebnis raus. Es duftet lecker,
mit Butter bestrichen und Ingwermarmelade wird es zum Genuß für alle Sinne.
Was ist anders an einem Gedicht ? Es soll doch wohl nicht etwa die Welt beeinflussen ?
(grins) Wenn jetzt ein/e Autor/in oder ein Leser/in die Augen
verdreht, dann überschätzt er/sie sein eigenes Wissen gewaltig.
2. Zu dem Gedicht von Lerner/Popp fällt mir Karl Valentin ein :
“Es ist alles schon gesagt worden, nur noch nicht von mir” (Anm. der Autorin :nur kürzer)
Gleichwohl bin ich begeistert von diesem “Aufbruch”, kann doch nicht oft genug darauf
hingewiesen werden.
3. habe ich hier interessante websides zur Kunst entdeckt und werde mich daran freuen.
Einen Zipfel von dir, Jan, einfach zufällig erwischt zu haben, hat mich erst ein wenig verschreckt,
dann aber sehr neugierig gemacht.
Ich verabschiede mich hier von diesem Thema mit einem Gedicht :

alte Närrin

verlaufen in den Falten
des staubigen Theatervorhangs
habe ich mich unter meiner Fußmatte
wieder gefunden

Ich habe noch einen kleinen Nachtrag :
einen dichtetenden Bekannten habe ich auf diesen Disput hier aufmerksam gemacht . Er meinte zu der These :
“Jedes Gedicht ist rezipierbar”
“Bullschitt”, ( grins). Er hat wohl übersehen, dass er sich mit dieser Aussage bereits zum Rezipienten gemacht hat.

Antwort
Jan Kuhlbrodt schreibt:
10. April 2013 um 10:50


ich danke dir und allen anderen und hoffe, wir bleiben auf die eine oder andere weise in verbindung.
Antwort
Anke G. schreibt:
10. April 2013 um 17:22

mein dank dir (und euch), dass du unseren kurzen dialog hierhin geöffnet hast.
ich bin zu studienzeiten – mit einer gehörigen portion jugendlicher überheblichkeit – gegen einen unidozenten angetreten, das sonett zu zerstören, um es kompatibel für diese welt zu machen. der dozent – ganz formalist – hat weder den ansatz noch meinen dazu gelieferten text verstanden. heute glaube ich, das war die ur-diskussion. schlussendlich resultiert die moderne doch aus dem nicht-verstehen von welt und wort.
in der postmoderne sind wir da schon einen schritt weiter…
Jan Kuhlbrodt schreibt:
10. April 2013 um 17:36

das heißt, wir zerstören heute das sonett mit dem sonett, zerreiben die form zwischen formen